Aus Michael Roos: „Flucht von der Teufelsinsel“, Kißlegg 1998, S. 100-112.

         „Namen und Orte des folgenden Tatsachenberichts wurden geändert.

Benedicta Feraudi

Verschwunden im Schwarzwald

Katholische Pfadfinderin
in den Händen einer Sekte

„Dein Herz schwankt, und du suchst einen festen Halt auf der Erde. – Gut, aber gib acht, daß sich die Stütze, nach der du greifst, nicht in ein bleiernes Gewicht verwandelt, das dich nach unten zieht, in eine Kette, die dich zum Sklaven macht.“
(Josemaria Escriva de Balaguer)

 

Eine höhere Berufung?

„Ich brauche kein Studium. Ich habe eine höhere Berufung. Ich sehne mich nach meiner Zelle. Eine priesterliche Person führt mich.“
Wer Sandra gut kannte, konnte über diese Worte nur erschrecken, die sie 24 Stunden nach ihrem plötzlichen Weggang von zu Hause sprach. Hier begann der Kampf um die psychische Freiheit einer 21-jährigen Studentin, die ohne Abschied ihre Familie verließ, um sich einem scheinbaren Glück auszuliefern. 

Sandra war in die Fänge einer undurchsichtigen Gruppe geraten.

 Ein ganz normales Mädchen

Um zu sehen, wie Sandra sich verändert hat, sollte man einen kurzen Blick auf ihr früheres Leben werfen. Sandra war stets ein frisches und ausgeglichenes Mädchen, sie liebte ihre Familie und überraschte ihre Eltern und Schwestern öfter durch kleine Geschenke. Neben der Familie war ihr der Einsatz in einer katholischen Pfadfindergruppe sehr wichtig, der sie durch ihr nüchternes Glaubensleben ein Vorbild sein wollte.  Dabei stand sie mit beiden Füßen auf der Erde, religiöse Schwärmereien waren ihr fremd.

Auf einem Pfadfinderlager lernte sie Laura kennen - ein zwar dominantes, aber sonst sympathisches Mädchen. Diese Beziehung zwischen Sandra und Laura verengte sich so sehr, daß die beiden Pfadfinderinnen frühere Freundschaften als „unwert“ auflösten. Sandra begann zunehmend ihr Studium zu vernachlässigen.

Plötzlicher Abschied

Eines Abends eröffnete Sandra ihren Eltern, sie wolle über Ostern für zwei Wochen zu ihrer Freundin Laura nach Freiburg fahren. Ihre Mutter war keineswegs begeistert. Sandra war erst vor Kurzem länger dort gewesen, und die Seminararbeit für die Universität mußte doch bearbeitet werden. In einem Gespräch zwischen ihr und den Eltern brachte sie nur weinend die Worte heraus, daß die Messe von Pater Winter und Pfarrer Friedrich ungültig seien. Die Eltern wunderten sich, denn Sandra hatte diese zwei eher konservativen Priester immer sehr geschätzt. Wie kam es zu dieser Veränderung? War es nur ihre Freundin Laura, die sie nach Furtwangen zog? Sandra erklärte, sie könne im Moment über etwas nicht reden. Wer konnte es sein, der ihr das Reden unmöglich machte?

Am 3. April 1995 um 13.30 Uhr stand Sandra mit ihrem Rucksack an der Tür. „Ich nehme euch die Entscheidung ab“, sagte sie. „Laura steht mit dem Auto parat.“ Bevor ihre Angehörigen einen klaren Gedanken fassen konnten, war sie schon fort.

Auf dem Kopfkissen ihrer jüngeren Schwester hinterließ sie einen Brief an diese:

„Liebe Maria,
warum ich Dir schreibe? Weil ich Dir hiermit noch einmal versichern will, daß ich Dich ganz arg lieb habe! ... Auch wenn ich Dir – weil für Dich alles so unverständlich ist – sehr weh tun muß. Aber manchmal wie heute, läßt sich so etwas nicht vermeiden, wenn man Gott mehr gehorchen muß als den Menschen ...
Was Du aber Mama und Papa gerne ausrichten darfst, ist, daß ich beide trotzdem aus ganzem Herzen lieb habe.“

Letzte Kontakte

Gleich am nächsten Tag fuhren die Eltern nach Furtwangen, aber Sandra war nicht anzutreffen. So fragten sie Lauras Mutter Frau Schmitt, wie sie zu diesem plötzlichen Verschwinden stehe. Diese reagierte barsch: Sandra fühle sich bei ihr wohl und könne sein, wo sie wolle, da sie ja mündig wäre; das vierte Gebot gelte nur für kleine Kinder. Deshalb wollten die Eltern mit einem Priester aus dem Nachbarort sprechen, dem Laura durch ihre Jugendarbeit nahe stand. Stattdessen trafen sie aber auf Sandra, die dort mit ihrer Freundin Orgel übte.

Zwar konnten die Eltern beide bewegen, auf den Vorplatz der Kirche zu kommen, aber es war kaum möglich, mit ihrer Tochter zu sprechen. Sandra starrte ausdruckslos vor sich hin und brachte abgehackt die schon anfangs genannten Sätze hervor: „Ich brauche kein Studium. Ich habe eine höhere Berufung. Ich sehne mich nach meiner Zelle. Eine priesterliche Person führt mich.“

Ein Auto fuhr vor. „Laura und Sandra steigt ein! Es ist hier zu kalt für euch, ich habe es eilig!“ sagte die aufgebrachte Mutter von Laura, während sie ausstieg. Die Eltern Sandras versuchten weiter, mit ihrer Tochter zu sprechen, aber Frau Schmitt stellte sich dazwischen und sagte mindestens fünfzehnmal  Mal: „Sandra! Denk daran, du bist volljährig! Du brauchst auf deine Eltern nicht zu hören und mußt ihnen nicht antworten.“ Sie verbreitete eine derartige Hektik, daß jedes Gespräch unmöglich wurde.

Sandra war verunsichert, die Eltern verzweifelt. Als Sandras Mutter bemerkte, daß es ihrem Mann sichtlich schlecht ging, bat sie ihre Tochter, nach Hause zu kommen, um das Geschehen der letzten 24 Stunden in Ruhe zu besprechen. Gleichzeitig versprach sie ihr, sie könne am nächsten Tag gleich wieder zurückfahren. Sandra war gewillt mitzukommen, ging zu Frau Schmitt und fragte (!). Diese sagte „nein“  und zog sie ins Auto.

Erst später bestätigte sich der Verdacht, daß in dem Auto mit Paderborner Kennzeichen der geheime Seelenführer von Sandra und die „Seherin“ Frau Hiller warteten.

Der Kampf beginnt

Die Eltern waren sich bewußt, daß ihre Tochter in eine völlig undurchsichtige Gesellschaft gerissen worden war. Wer verbarg sich hinter diesem geheimen Priester, über den Sandra nie konkrete Aussagen machen wollte? Was konnten die Eltern tun?

Einige Tage später fanden sie in Sandras Papierkorb einen Zettel mit dem Namen eines Herrn. Dieser gehört zum inneren Kreis der Sekte und hat – wie man erfuhr – ebenfalls sämtliche Beziehungen zu alten Freunden und seinen Verwandten abgebrochen. Über zuverlässige Dritte erfuhr die Familie, daß dieser Mann Sandra kenne. Sie habe bereits Schauungen und Laura sei eine Heilige, erklärte dieser Anhänger der Sekte.

Kontakte über Pfadfinder, die Laura gut kannten, führten auf eine weitere Spur. Herr Fischer, ein Gymnasiallehrer aus dem Raum Freiburg legte jedoch sofort den Hörer auf, als die verzweifelten Eltern ihn anriefen. Eine Nachfrage bei seinem Rektor und ein Hilferuf bei seinen Nachbarn brachte ihnen eine Klage seitens Herrn Fischer ein.

Ein Gymnasiallehrer zieht vor Gericht

Auch diesen Weg scheute die Gruppe um Sandra nicht. Der Lehrer und Familienvater Fischer betrachtet sich in dieser Sekte als Katechet. Ein Zeuge sagte vor Gericht aus, „er habe Gespräche geführt, an denen nur Laura und Herr Fischer teilgenommen hätten. Laura habe gegenüber dem Kläger (Anm.: Herr Fischer) in fast anbetender Haltung dagesessen und nur zugehört, was dieser gesagt habe und dem zugestimmt. Laura sei ihm gegenüber immer weniger bereit gewesen, sich auf Argumente einzulassen, sondern habe sich auf Fischer oder ihren Seelenführer berufen. Im Gespräch habe sie sich immer öfter darauf zurückgezogen, daß sie darüber erst mit ihrem Seelenführer oder Fischer sprechen müsse, ähnlich habe sich auch Sandra verhalten.“ [1]

Welche Rolle spielte der Lehrer Fischer im Lebens Sandras? Im Februar 1995 hatte er noch bei den katholischen Pfadfindern einen Vortrag gehalten. Zu dieser Veranstaltung erschien er mit der Seherin Frau Hiller, die auch „Seerose“ genannt wird, und mehreren Personen, die im Hause der Familie Schmitt wohnen.

Seine Klage gegen die Eltern Sandras wurde nicht nur abgelehnt, sondern die Beweisaufnahme hat „in ausreichendem Maße Anknüpfungspunkte ergeben, die es als möglich erscheinen lassen, daß es religöse Führerschaft und Abhängigkeit gibt.“ [2] Vor Gericht mußte er zugeben, daß er an einer Veranstaltung von „little pebble“ in München teilgenommen hatte.

Little Pepple – der neue Papst?

Im Mittelpunkt dieser obskuren Vereinigung, die übersetzt  ‚kleiner Kieselstein’ heißt, steht der Glaube, daß ihr Gründer ... William Kamm der zukünftige Papst sein wird. Folgerichtig nennt er sich der ‚kleine Felsen’.[3]  Nachdem der Führer dieser Bewegung angeblich auf Wunsch der Mutter Gottes seine Frau verließ, um seine junge Sekretärin zu heiraten, wandten sich viele Anhänger von ihm ab. Viele – gerade konservative Katholiken – hatten sich täuschen lassen.

Bei der Sekte im Hause der Familie Schmitt scheint es sich um eine Abspaltung dieser religiösen Gemeinschaft zu handeln.

Was steckt dahinter ?

Mitte April 95 erhielten die Eltern Sandras über einen recherchierenden Pfarrer konkrete Auskünfte über den geheimen Seelenführer ihrer Tochter. Im Generalvikariat Paderborn ist er kein unbeschriebenes Blatt.

Pastor Weber, ein 1972 aus psychischen Gründen frühpensionierter Pfarrer, lebte bisher unerkannt bei der Familie Schmitt im Schwarzwald. Bis 1995 meinte man in der Nachbarschaft noch, er sei der Ehemann von Frau Kramer und Vater zweier Kinder. Erst durch die Auseinandersetzung war er gezwungen, sich unverzüglich beim Einwohnermeldeamt mit richtigem Namen zu melden.

Ein ehemaliger Mitbruder von Weber sagte den Eltern Sandras einmal, daß Weber für ihn immer etwas Dämonisches gehabt hätte. Er lehrt die Anhänger der Sekte, ihre Familien zu hassen und sich von ihnen fernzuhalten. Dadurch bindet er sie an sich und macht sie abhängig. Eine Verwandte der Famile Schmitt bestätigte, daß im Hause Schmitt viel Haß gepredigt wird. Die Menschen, die in den Sog von Pastor Weber geraten seien, mache er zu seinen Werkzeugen.

Aus der Tonaufnahme einer „little pebble“-Veranstaltung ist zu entnehmen: Weber war früher in engem Kontakt mit dieser Gruppe, trennte sich aber dann wegen Uneinigkeiten mit ihr. Daraufhin agiert er nun auf eigene Faust. Mit seinen „Seherinnen“ und „Aposteln“ bildet er einen neuen inneren Kern. Alle, die nicht seinen Standpunkt vertreten, schließt er konsequent und definitiv aus.

Mehrfach hat er versucht, Familien zu trennen. So vereitelte er z.B. auch die Heirat eines jahrelangen „Jüngers“. Dessen Mutter war entsetzt, als sie erkennen mußte, daß ihr Sohn seit der ersten Beichte bei Pastor Weber völlig in seinem Bann stand.

Was lehrt die Sekte?

Sektenstrukturen sind für Außenstehende oft schwer zu durchschauen. Alles wird streng geheimgehalten, dennoch konnten einige der merkwürdigen Ansichten mit Hilfe von Aussteigern und zuverlässigen Zeugen ans Licht gebracht werden.

Sandra hatte kurz vor ihrem Bruch mit der Familie angedeutet, daß die hl. Messen bestimmter Priester nicht gültig seien. In diesem Sinn äußerte Herr Fischer auch einmal, daß der neue Meßritus nicht mehr lange bestehen werde, aber auch die alte Liturgie würde nicht mehr eingeführt. Vielmehr gebe es bald ein ganz neues Meßformular, das durch Seher geoffenbart würde.

Außerdem ist nach Fischer die Reinkarnation (Wiedergeburt) einiger biblischer Gestalten denkbar. Ein Aussteiger berichtet in diesem Sinn, daß Pastor Weber sich als reinkarnierter Melchisedech betrachte, der als Petrus II. den letzten Antipapst vom Thron stürzen würde. Diese Aufgabe sei dem „little pebble“ abgenommen worden. Die Kinder von Frau Kramer, die seit der Hausgemeinschaft mit Pastor Weber geboren wurden, seien vom Hl. Geist. Solche Phänomene würde es in der Endzeit häufiger geben.

Sandras Eltern gelang es, an eine „Seherbotschaft“ zu kommen, die Pastor Weber handschriftlich Laura und Sandra zueignete. Vor Gericht mußte er zugeben, daß diese Texte von Frau Hiller unter dem Namen „Seerose“ verfasst worden waren. „Diese wirren ‚religiösen’ Schriftstücke wurden wiederum unstreitig vom Zeugen Weber den Zeuginnen Laura Schmitt und Sandra zugänglich gemacht.“[4] Überschrieben ist der mit einer Schreibmaschine getippte Text mit: „Wort des Ludwig (W), gegeben durch die ‚Seerose’ am 22. Mai 1995“. Pastor Weber spricht hier durch das Medium „Seerose“ (Frau Hiller ist Fußpflegerin im Schwarzwald und besucht fast täglich die Familie Schmitt). Auch seine Lebensgefährtin (Frau Kramer) mit den „Seherkindern“ hat angeblich Schauungen, die sie als „Liebesblume vom Heiland“ weitergibt.

Hier nun das „Wort des Ludwig (W)“, das sich auf ein Telefongespräch zwischen Sandra und ihrem Vater im April 1995 bezieht.

„Somit wurde der absolute Höhepunkt an schweren Verleumdungen angegangen und tatsächlich ausgesprochen. Danach folgt die öffentliche Hetzkampagne und wird zu euch herangetragen im gehässigen Rufmord. Diesen Schmutz, der dann im Laupingen (Anm.: Ort, wo Frau Hiller als Fußpflegerin arbeitet) ausgebreitet wird und dich vordergründig geschäftlich und existenztötend ruinieren soll, überkommt die Laupinger Bürgerschaft wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Achte nicht darauf, wie die Menschen sich dir gegenüber benehmen sollen, sondern geh deinen Weg weiter, ohne nach rechts oder links zu schauen. Wir Streiter sind alle in nächster Umgebung und werden mit übernatürlicher Kraft euch beistehen, denn meine hauptamtlichen Befugnisse werden erst dann hervorkommen, wenn der ewige Vater uns dazu den Eingriffsbefehl erteilt. Das bedeutet eine Gesetzesregelung, die der Endzeit-Apokalypse zugeteilt wurde und beim letzten Anschlag in Kraft tritt, den der wütende und wild um sich greifende Antichrist im lebendigen Marco Barbieri (Anm.: der Vater von Sandra) ausübt. Seine brutalen Angriffe steigern sich nach dem Telefongespräch mit dir ins ohnmächtige Wutgeschrei, weil er genau erkennen mußte, daß seine Anschuldigungen ihn vors Gericht zerren werden. Mit diesem Gegenschlag hat er nicht gerechnet, weil er niemals glaubt, daß seine Tochter Sandra ihm so etwas antun werde. Und darum konzentriert er sich auf die verdächtigen Personen, die da unmittelbar beteiligt sind und vor allem tatkräftig mitwirken. So geht das grausame und vorübergehende Zerstörungswerk des Satansdieners weiter, bis er vor die ernüchternde Tatsache gestellt wird, daß er sich selbst dem Henkersrichter ausgeliefert hat und alle, die da mitmachen und sich ihm hin-und herschwankend preisgegeben haben. Denn in Laupingen werden überraschende Reaktionen hervorkommen im aufhorchenden Erstaunen, und ihr werdet euch noch wundern, wie sich die einzelnen Menschen benehmen und zurechtrücken wollen.

Geht dem gelassen und nüchtern abwägend entgegen und glaubt an die letztendliche Zurechtweisung, die hereinbricht im furchtbaren Himmelsgetöse. Dann ist eure Zeit gekommen, die euch beweist, wie der ewige Vater gerade diesen Kohorten Antichrist gebraucht hat für sein Werk der absoluten Gottesherrschaft. Das bedeutet eine Säuberungsaktion von weitreichenden und ungeheuerlichen Ausmaßen, die gerade am Ort der Neuen und Ewigen Kirchenstadt wichtig und unerläßlich ist, denn die Gemüter der einst Versagten werden sich so anschwellend erhitzen im nicht mehr orientierten Durchblicken, daß es schon sein kann, daß sie zu dir kommen, um ihren Seelenzustand aufheulend auszuschütten.

So kommt die Wahl der Qual, zumal sie wissen, daß du als Sprachrohr des Himmels eingesetzt bist. Denn das erschwert die Entscheidungssituation ganz erheblich, und selbst der unsicher gewordene Stadtpfarrer wird von dieser unausweichlichen Ausgangslage hin- und hergerissen, zumal er von diesem Öffentlichkeitsdelikt dem Erzbischof in Freiburg Bericht erstatten muß. Damit kommt ein Stein ins Rollen, der dem Bistum Freiburg die letzte irdische Befugnisentscheidung abverlangt und die Bewährungsfrist aller Mitbeteiligten endgültig entscheidet. Seid stark im unerschütterlichen Gottvertrauen und vertraut auf die allmächtige Führung des Himmlischen und Ewigen Vaters. Ganz nahe bin ich bei euch.“

Der Text spricht für sich. Der Auswertung des Psychiaters zufolge hat dieser Text gravierende psychopathische Züge. Die Tatsache, daß Sandra bereit ist, solche Inhalte hinzunehmen, zeigt eindeutig ihre beschränkte Urteilsfähigkeit. Nur die psychologische Abhängigkeit kann erklären, wie ein vorher intelligentes Mädchen derartigen Verirrungen kritiklos gegenübersteht.

Absoluter Gehorsam

Als die Eltern Sandras das letzte Mal ihre Tochter kurz auf der Straße sprechen konnten, wäre sie fast bereit gewesen, mit nach Hause zu fahren, um dort alles zu klären. Doch zuerst mußte sie Lauras Mutter fragen. Die sagte nein, also blieb Sandra bei der Sekte.

Wie weit dieser Gehorsam geht, ist durch die Zeugenverhandlungen vor Gericht deutlich geworden. So berichtet ein Zeuge über Laura:  „Gerade fällt mir noch ein, was ich auch aus einer Erzählung meiner Frau weiß (Anmerkung: die Frau des Zeugen war mit Laura befreundet): Sie hatte einmal auf einer Fahrt zusammen mit Laura Schmitt auf der Autobahn einen Autounfall. Dieser war geringfügig und es war die Frage, wie und ob die Reise fortgesetzt werden sollte. Laura Schmitt hat damals ihren Seelenführer angerufen und dieser hat geäußert, dieser Unfall sei ein Zeichen des Himmels und man solle die Reise nicht fortsetzen. Die Fahrt ist dann auch nicht durchgeführt worden.“[5]

Laura selbst äußerte, daß sich der geforderte Gehorsam auch über objektiv moralische Werte hinwegsetzen könne. „Was der Seelenführer und Herr Fischer gesagt hätten, sei von Laura Schmitt absolut gesetzt worden.“[6]

Sandra bewirft jetzt ihr Elternhaus, wo sie eine glückliche Kindheit und Jugend verbrachte, mit Schmutz. Ihr Abschiedsbrief beweist, daß sie ihre Eltern damals noch liebte. Im Gehorsam gegen den Seelenführer meidet sie aber jeden Kontakt zu ihrer Familie. Sie bezeichnet ihre ältere Schwester als „falsche Schlange“ und die Eltern als „Werkzeuge des Satans“.

Und kein Ende abzusehen

Seit 3 Jahren lebt Sandra schon unter einem Dach mit Pastor Weber. Alle Bemühungen der Eltern blieben umsonst. Die Sekte versteht es geschickt, durch ihre „Offenbahrungen“ ein Feindbild gegen die Familie aufrecht zu erhalten. Obwohl die „religiöse Gemeinschaft“ zahlreiche Klagen vor Gericht verlor, ging ihr das Geld nicht aus.

Laut den Angaben von einigen Nachbarn entstehe zur Zeit ein neues „Sektenzentrum“, das Herr Fischer für seine religiösen Aktivitäten nutzen möchte. Auch Laura und Sandra wurden bei den Renovierungsarbeiten dort gesehen.

Es handelt sich hier nicht um eine der großen Jugendsekten, die viele Menschen in ihren Bann ziehen. Trotzdem  gibt es im  deutschsprachigen Raum – einem Sektenbeauftragten zufolge – keine Sekte, die derart radikal die Familie trennt und jeden Kontakt verhindert.

Für gut katholische Familien sind nicht die Mun- oder Bagwhan-Sekte gefährlich, sondern selbsternannte Seher und Propheten, die unter dem Deckmantel scheinbarer Frömmigkeit Menschen in ihren Bann ziehen, die vorher der katholischen Kirche stark verbunden waren.

Namenliste

Sandra: Opfer der Sekte. Wurde durch Laura hineingezogen. Seit 3 Jahren kein Kontakt mehr zur Familie. „Seherin“.
Laura:
Opfer der Sekte und Tochter von Frau Schmitt. „Heilige“.
Frau Schmitt:
Mutter von Laura und fanatisches Opfer der Sekte. Ihr gehört das Haus, in dem der Sektenführer Weber mit seiner Lebensgefährtin und zwei „Seherkindern“ wohnt.
Pastor Weber: Aus psychischen Gründen frühpensionierter Priester der katholischen Kirche. Spaltete sich von der „little pebble“-Bewegung ab und umgibt sich mit einem Kreis von Anhängern, von denen absoluter Gehorsam verlangt wird.
Herr Fischer:
Gymnasiallehrer und Familienvater. Versteht sich als Apostel und Katechet der Sekte.
Frau Hiller:
Fußpflegerin aus einem Nachbarort, die sich häufig im Haus von Frau Schmitt aufhält. Erhält unter dem Namen „Seerose“ angeblich Botschaften vom Himmel.
Frau Kramer:
Lebensgefährtin von Pastor Weber. Sie behauptet, Schauungen zu haben, die sie als „Liebesblume vom Heiland“ weitergibt. Ihre zwei Kinder werden in der Sekte als „Seherkinder“ verehrt.
Pfarrer Friedrich:
Diesen Priester schätzte Sandra früher aufgrund dessen konservativer Einstellung.
Pater Winter:
Diesen Priester schätze Sandra früher aufgrund  dessen konservativer Einstellung.
Maria:
Jüngere Schwester von Sandra.
Marco Barbieri:
Vater von Sandra. Wird von der Sekte als „Antichrist“ bezeichnet.

Benedicta Feraudi, geb. 1979, ist die jüngste von drei Schwestern. Sie erzählt eine wahre Geschichte, die sie in ihrem nächsten Bekanntenkreis erfahren hat. Ein erschütternder Bericht darüber, wie eine konkrete Sekte arbeitet. Eine Warnung für Jugendliche und Erwachsene, die oft ahnungslos in den Einfluß von Sekten geraten können, wenn sie nicht richtig informiert sind.“

Fußnoten
[1] aus der Urteilsbegründung vom 20.11.96
[2] ebd.
[3] Bernd Marz, "Sekten - Verschwunden im Schwarzwald", in: Kirche Intern 12/97
[4] aus der Urteilsbegründung vom 20.11.96
[5] aus dem Protokoll der Zeugenvernehmung vom 26.6.96
[6] aus der Urteilsbegründung vom 20.11.96